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OLG Nürnberg: Thermofenster sind Sachmangel

Volkswagen Golf VII
VW Golf 7: Dank illegaler Thermofenster kann man teilweise noch ein Nachfolgemodell bekommen.
19. August 2021

Ein Hinweisbeschluss des OLG Nürnberg vom 2.8.2021 (Az. 12 U 4671/19) wird aktuell von Anwälten als „Wende im Dieselgate 2.0“ gefeiert. Die Nürnberger Richter wollen nämlich Thermofenster im Abgasskandal zukünftig als „Sachmangel“ werten. Teilweise wird deshalb von Anwälten der Eindruck erweckt, dass man für jedes Auto mit Thermofenster Schadensersatz bekommen oder sein Fahrzeug zurückgeben kann. Das dürfte zwar übertrieben sein, dennoch bietet der OLG-Beschluss einigen betroffenen Diesel-Besitzern neue Chancen. Das gilt beispielsweise für die Fahrer von Golf VII-Modellen, die noch Gewährleistung haben. RECHTECHECK erklärt die Hintergründe.

Hintergrund zu Thermofenstern

Der Europäische Gerichtshof hat schon länger festgestellt, dass Abschalteinrichtungen nur in absoluten Ausnahmesituationen zum Motorschutz eingesetzt werden dürfen. Damit sind auch sogenannte Thermofenster illegal. Diese sorgen dafür, dass die Abgasreinigung nur in engen Temperaturbereichen voll funktioniert, insbesondere bei den Prüfbedingungen im Rahmen der Zulassung. Dieser Sichtweise hat sich jetzt auch das OLG Nürnberg in einem Hinweisbeschluss angeschlossen.

Auf den ersten Blick scheint das der Sichtweise des BGH zu widersprechen. Dieser hatte im Juli 2021 geurteilt, dass der Einsatz von Thermofenstern alleine noch nicht reicht, um Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädigung zu bekommen. Dafür müsste der Hersteller nämlich bewusst illegal und so besonders verwerflich gehandelt haben. (Und das ist nicht leicht nachzuweisen.) Der Hinweisbeschluss des OLG Nürnberg stellt aber nur den Sachmangel fest, nicht die Rechtsfolgen.

Schadensersatz, Rückabwicklung oder kostenloses Nachfolgemodell

Die OLG-Entscheidung dürfte daher insbesondere für die Sachmängelhaftung relevant sein. Dabei kommt es weder auf Schuld oder Vorsatz noch auf Verwerflichkeit an. Zu klären sind vereinfacht gesagt nur zwei Fragen:

  • Lag der Sachmangel schon bei der Übergabe vor?
  • Ist die Gewährleistung noch nicht abgelaufen?

Kann man beide Fragen mit „Ja“ beantworten, darf man Ansprüche gegenüber dem Händler geltend machen. (Der Händler wird sich anschließend vom Hersteller entschädigen lassen.) Dabei hat man verschiedene Optionen:

  • Eine rückwirkende Preisminderung.
  • Die Rückabwicklung des Kaufs.
  • Bei Neuwagen: Nachlieferung eines sauberen Nachfolgemodells ohne Aufpreis.

Wer profitiert von dem OLG-Beschluss?

Von dem Hinweisbeschluss dürften insbesondere Kunden profitieren, die ein Auto mit Thermofenster besitzen und bei denen die Gewährleistungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die Gewährleistung beginnt mit der Übergabe und läuft 2 Jahre bei Neuwagen, 1 Jahr bei Gebrauchtwagen vom Händler. Ist die Frist bereits abgelaufen, bleibt nur noch eine Klage gegen den Hersteller wegen sittenwidriger Schädigung – dann muss man aber mehr nachweisen als nur ein Thermofenster. (In manchen Fällen kann man sein Auto außerdem über einen Autokredit-Widerruf loswerden.)

Das Problem dabei: Seit der Einführung der Abgasnormen „Euro 6 d temp“ und „Euro 6 d“ können die Messungen für die Zulassung in einem wesentlich breiteren Temperaturbereich stattfinden. Deswegen setzen neuere Modelle mit diesen Abgasnormen wahrscheinlich keine Thermofenster mehr ein.

Daher profitieren voraussichtlich insbesondere 2 Gruppen von Kunden von der OLG-Entscheidung:

  • Neuwagenkäufer, die innerhalb der letzten 24 Monate ein „Auslaufmodell“ mit der alten Euro 6-Norm gekauft haben.
  • Gebrauchtwagenkäufer, die ihren Diesel mit Euro 5- oder Euro 6-Norm vor weniger als einem Jahr bei einem Händler gekauft haben.

Bis zur Einführung von „Euro 6 d temp“ dürften die meisten Hersteller auf Thermofenster gesetzt haben. Ein Beispiel ist der Golf VII, der noch bis ins Jahr 2020 hinein mit dem Motor EA 288 produziert wurde. Wer seinen Golf VII vor weniger als 2 Jahren neu bekommen hat, kann daher einen ähnlich ausgestatteten Golf VIII fordern – und das ohne Aufpreis.

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