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Betriebsbedingte Kündigung und die korrekte Sozialauswahl

Eine nicht oder falsch durchgeführte Sozialauswahl macht betriebsbedingte Kündigungen meistens unwirksam. Problematisch sind z.B. die Bildung der Vergleichsgruppen oder die abteilungsübergreifende Sozialauswahl.

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Wird ein Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt, findet eine Sozialauswahl statt – auch abteilungsübergreifend.
28. August 2020

Flattert eine betriebsbedingte Kündigung ins Haus, ist dass das Job-Äquivalent von “Es liegt nicht an dir, es liegt an mir”. Ihnen wird gekündigt, weil es Ihre Arbeitsstelle schlicht bald nicht mehr gibt. Bei dieser Art Kündigung sollte man meinen, dass man relativ wenig dagegen tun kann. Schließlich zielt eine Kündigungsschutzklage vordergründig immer darauf, ab dass Sie Ihre Stelle behalten können. Wie soll das gehen, wenn es besagte Stelle einfach nicht mehr gibt? 

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Tatsächlich gibt es für den Arbeitgeber enorme Hürden, wenn er eine betriebsbedingte Kündigung aussprechen möchte. Es müssen … 

  • Betriebliche Erfordernisse vorliegen, die den Bedarf an Arbeitskraft verringern – etwa durch die Zusammenlegung von Abteilungen, 
  • diese Erfordernisse müssen dringlich sein, sprich es darf keine Möglichkeit geben, den Arbeitnehmer doch noch irgendwie weiterzubeschäftigen,  
  • Eine Interessenabwägung muss zugunsten des Arbeitgebers ausfallen, sein Interesse an der Kündigung muss also größer sein als Ihr Interesse an Ihrem Arbeitsplatz und  
  • es muss eine fehlerfreie Sozialauswahl stattgefunden haben (ausgenommen bei einer Schließung des Betriebs). 

Wann sind betriebsbedingte Kündigungen gerechtfertigt? 

Oft stehen Ihre Chancen auf den Erfolg einer Kündigungsschutzklage schon allein aufgrund unberechtigter betriebsbedingter Kündigungen gut. Diese kann der Arbeitgeber nämlich nicht einfach wegen einer schlechten Wirtschaftslage aussprechen. Nur wenn Abteilungen, Stellen oder Filialen tatsächlich wegfallen und Sie wirklich nicht weiterbeschäftigt werden können, ist diese Art der Kündigung als letztes Mittel einzusetzen. Das kann allerdings auch in Zeiten der Fall sein, in denen es der Firma gut geht. Wenn ihr Job wegfällt, weil im Unternehmen effizientere Produktionsmethoden eingeführt werden, hat das vor Gericht im Normalfall als ausreichende ökonomische Begründung Bestand.  

Zunächst müssen allerdings Mitarbeiter gehen, die keinen Kündigungsschutz haben, beispielsweise solche in der Probezeit. Ist eine ähnliche Stelle wie Ihre mit einem Zeitarbeiter besetzt, haben Sie als Festangestellter Anspruch auf diese Stelle. Ihr Arbeitgeber kann Sie also nicht durch Arbeitskräfte mit weniger starker Unternehmensbindung ersetzen, eine solche sogenannte Austauschkündigung wäre unzulässig. Das gilt auch für einige Zeit nach Ihrer Kündigung, der Arbeitgeber muss sein Handeln an den Gründen für die Kündigung ausrichten. Wird einen Monat nach Ihrer Kündigung eine ähnliche Stelle wie Ihre alte ausgeschrieben, gilt Ihre Kündigung als unwirksam.  

Der Knackpunkt ist allerdings die Sozialauswahl, denn selten werden etwa alle Konstrukteure eines Unternehmens gekündigt, sondern nur ein Teil davon. Die Sozialauswahl bestimmt, welche – und genau dabei passieren häufig Fehler.  

Wie funktioniert die Sozialauswahl? 

Die Sozialauswahl findet in drei immer gleichen Schritten statt: 

  1. Es wird eine Vergleichsgruppe gebildet, in der alle betroffenen Mitarbeiter gesammelt werden, die untereinander vergleichbar sind. Beispielsweise alle Redakteure einer Zeitschrift, die in Zukunft zweimonatlich statt monatlich erscheint. Dabei ist auf Hierarchieebenen zu achten – Leitende Redakteure würden eine eigene Vergleichsgruppe bilden.  
  2. Es folgt die tatsächliche Sozialauswahl, bei der die Angestellten innerhalb einer Vergleichsgruppe anhand bestimmter Kriterien nach ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit sortiert werden. 
  3. Es werden eventuell einzelne Mitarbeiter nach §1 Abs. 3 KSchG von der Sozialauswahl ausgenommen, weil Sie besondere Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen oder zu einer ausgewogenen Personalstruktur beitragen.  

Bei jedem dieser Schritte kann es zu unterschiedlichen, teils gravierenden Fehlern kommen, die eine Kündigung unwirksam machen.  

Ein Meeting mit mehreren Angestellten in einem Büro an einem länglichen Tisch. Ein Mitarbeiter steht vor dem Tisch und referiert.
Bei der Bildung von Vergleichsgruppen kommt es häufig zu Fehlern – und leider auch zu Tricksereien.

Probleme bei der Bildung der Vergleichsgruppen 

Bei der Bildung der Vergleichsgruppen geschehen häufig Fehler, weil zu streng differenziert wird. Es geht nämlich nicht nur um Arbeitnehmer mit identischen Arbeitsplätzen, sondern auch um solche, die durch Fähigkeit oder Ausbildung eine gleichwertige Tätigkeit ausführen könnten. Das geht soweit, dass auch die fortgeschrittene Einarbeitung und Erfahrung eines Arbeitnehmers nicht ins Gewicht fallen darf, wenn der zu kündigende Arbeitnehmer die Tätigkeit nach einer kurzen, nicht näher definierten Einarbeitungszeit erledigen könnte.  

Beispielsweise kann der Einzelhandelskaufmann an der Käsetheke im Zweifel den Einzelhandelskaufmann der Fischtheke ersetzen, aber keiner der beiden kann den Fleischer in der Metzgerei desselben Supermarktes ersetzen. Ob die Fleischer mit den Metzgern in der Kundenberatung nach kurzer Einarbeitung vergleichbar sind, wäre wiederum ein Fall für eine Einzelfallbetrachtung. 

Die Kriterien der Sozialauswahl 

Bei der tatsächlichen Sozialauswahl nach der Bildung der Gruppen müssen die Arbeitgeber vier Faktoren berücksichtigen:  

  • Das Alter eines Mitarbeiters 
  • Die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit 
  • Die Unterhaltspflichten des Mitarbeiters 
  • Eventuelle Schwerbehinderungen des Arbeitnehmers 

Entsprechend diesen Faktoren werden den Mitarbeitern Punkte zugewiesen und so eine Rangfolge der Schutzbedürftigkeit gebildet. Werden von 20 Mitarbeitern 10 gekündigt, verlieren also die Plätze 11 – 20 ihre Arbeit. Bei der Vergabe der Punkte je Faktor sind die Arbeitgeber vergleichsweise frei, vorausgesetzt sie kewichten einen Faktor auffällig beliebig. Auch Staffelungen oder Maximalpunktzahlen sind hier möglich, in der Praxis kann das dann so aussehen:  

  • 1 Punkt pro volles Lebensjahr, maximal aber 55 
  • 1 Punkt je Dienstjahr, je 2 Punkte ab dem 11. Dienstjahr 
  • 5 Punkte für Verheiratete, 7 Punkte je unterhaltsberechtigtem Kind 
  • 1 Punkt je Behinderungsgrad von 10 

In der Praxis kann ein solches System schnell dazu führen, dass vor allem junge Mitarbeiter gehen müssen, wodurch das Durchschnittsalter der Belegschaft enorm steigt. Wo dies der Fall ist, kann der Arbeitgeber Altersgruppen von je etwa 10 Jahren oder mehr bilden, also etwa eine für alle unter 25, eine für alle Mitarbeiter von 25 bis 45, eine für alle über 45. Dies gilt nur bei sehr eng gefassten Altersgruppen als Versuch, das Alter als Kriterium der Sozialauswahl auszuhebeln.  

Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten und eine ausgewogene Personalstruktur 

Auf die ausgewogene Personalstruktur könnte sich außerdem berufen, wer etwa die einzige Frau in einem Team nicht kündigen möchte, obwohl sie laut Sozialauswahl am wenigsten schutzbedürftig ist. Auch die Bildung von Altersgruppen mit Berufung auf die ausgewogene Personalstruktur aus §1 Abs. 3 KSchG ist laut Bundesarbeitsgericht zulässig, da ein Mix aus jungen Mitarbeitern mit frischen Blickwinkeln und erfahrenen Kollegen für viele Unternehmen sowohl in der Produktion als auch in der Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist.  

Beruft man sich auf §1 Abs. 3 KSchG, um Mitarbeiter mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten von der Sozialauswahl auszunehmen, darf es dabei nicht um Fähigkeiten gehen, die schutzbedürftigere Mitarbeiter sich kurzfristig aneignen können.  

Beispiel:  

Muss ein Team aus deutschen Kundenbetreuern zum Beispiel auch mit Kunden aus Frankreich telefonieren und nur ein Teammitglied spricht Französisch, kann dieses aus der Sozialauswahl ausgenommen werden.  

Sprechen in einem Team von 20 Kundenbetreuern aber 4 Französisch, werden diese wahrscheinlich eine eigene Gruppe in der Sozialauswahl bilden müssen.  

Ein Meetingraum mit einigen Mitarbeitern, die an einem halbvollen Tisch sitzen. Im Vordergrund ist eine durchsichtige Glastür.
Gerade in Kreativ-Abteilungen, aber auch bei Produktion und Entwicklung profitieren alle von einer diversen und vielschichtigen Personalstruktur.

Müssen Teilzeitarbeitnehmer in die Sozialauswahl einbezogen werden? 

Diese Frage hängt eng mit der unternehmerischen Struktur des Unternehmens und dem Grund für die betriebsbedingte Kündigung ab. Möchte ein Arbeitgeber schlicht Stellen abbauen, die Struktur aus Vollzeit- und Teilzeitarbeitskräften aber behalten, dann sind beide Arbeitgebergruppen vergleichbar, also auch in einer Vergleichsgruppe.  

Hat ein Arbeitgeber dagegen entschieden, dass in einem Bereich nur noch Vollzeitkräfte arbeiten sollen, lässt sich nur schwer überprüfen, ob diese Entscheidung willkürlich ist, weswegen es in vielen Fällen als berechtigt gilt, die Vollzeitarbeitnehmer nicht in eine Sozialauswahl einzubeziehen. Das heißt aber nicht, dass Sie als Teilzeitkraft eine Kündigung aus solchem Grund einfach hinnehmen müssen. Speziell wenn in anderen Abteilungen noch Teilzeitkräfte beschäftigt sind, deren Arbeit sie nach einer Einarbeitungszeit ebenfalls ausführen könnten, ist die Sozialauswahl auch auf diese auszuweiten. 

Sozialauswahl bei Arbeitnehmern im Sonderkündigungsschutz 

Ist ein Arbeitnehmer von Sonderkündigungsschutz betroffen, wird er im Normalfall von der Sozialauswahl ausgenommen. So werden Frauen im Mutterschutz nach §9 Abs. 3 MuSchG im Normalfall nicht in der Sozialauswahl abgebildet. Liegen jedoch die Zustimmungen der entsprechenden Behörden zu einer eventuellen Kündigung vor, können auch Mitarbeiter in Elternzeit, Mutterschutz oder solche mit Schwerbehinderung in die Sozialauswahl einbezogen werden.  

Sozialauswahl im Gemeinschaftsbetrieb 

Ein Gemeinschaftsbetrieb entsteht immer dann, wenn mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen in einer gemeinsamen Betriebsstätte Betriebsmittel gemeinsam nutzen und der Einsatz der Mitarbeiter zentral gesteuert wird. Klingt kompliziert, in der Praxis sind die besten Beispiele für Gemeinschaftsbetriebe aber wohl Gemeinschaftspraxen von Ärzten oder Bürogemeinschaften. Hier sind bei betriebsbedingten Kündigung Gruppen aus Angestellten aller beteiligten Unternehmen zu bilden.  

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